Auf der Jagd nach Lehrinnovationen

Fehlkonzepte werden wie folgt definiert [1]: Eine Ansicht oder Meinung welche inkorrekt ist, da sie auf erwiesenermassen falschem Denken oder Verstehen beruht.

Auch in der Hochschulbildung finden sich bei Studierenden eine Vielzahl solcher Fehlkonzepte, die oft schon seit Jahren bestehen [2], [3] (zum Beispiel wird fälschlicherweise angenommen, dass das Magnetfeld der Erde seit jeher in die gleiche Richtung zeigt. Tatsächlich hat es in den letzten 4 Mio. Jahren mindestens neunmal seine Richtung geändert). Solch fehlerhaftes Denken ist darum problematisch, weil es tiefergehendes Lernen und Verstehen verhindern kann. [4]

Studien haben gezeigt, dass man durch wiederholtes Präsentieren des korrekten Konzepts solches fehlerhaftes Wissen und Denken nicht einfach aus dem Weg räumen kann [5]. Es gibt falsches Wissen, das sich scheinbar ständig selber bestätigt, besonders wenn es subjektive und vereinfachende Interpretationen von vielschichtigen Ereignissen oder Gegenständen sind (mentale Modelle) [6]. An solchen Fehlkonzepten wird gerne festgehalten, weil sie die Wirklichkeit weniger komplex erscheinen lassen und scheinbar genügen, um die Dinge zu erklären. So sind sie stark verankert und nur schwer zu überwinden. Auch wenn nun die gängige Lehrmeinung dieser Sichtweise widerspricht findet oft kein Umdenken statt. Entweder ist diese andere Sicht unbekannt oder sie wird gar nicht richtig beachtet oder ignoriert, weil erhöhte Komplexität und so entstehende kognitive Konflikte unbequem sein können.

 

Ein Ausweg ist, in der Lehre bewusst ganz spezifische Situationen herbeizuführen, welche mit solchen Fehlkonzepten nicht mehr erklärbar sind [7]. Das ist z.B. dann der Fall, wenn das alte Konzept das offensichtliche Resultat eines Experiments nicht mehr glaubhaft rechtfertigen kann. Wenn nun die Erklärungskraft des neuen, richtigen Konzept eindeutig höher ist, dann wird der Weg frei, dass sich Denk-Konzepte dauerhaft verändern. In so einem Umgang mit Fehlkonzepten kann sich für Studierende zusätzlich eine wichtige Erkenntnis einstellen: für echtes Lernen tut man gut daran, seine Sicht der Dinge regelmässig zu hinterfragen und wenn nötig selbstverantwortlich die Konzepte neu zu lernen.

 

ETH Projekte

An der ETH finden sich verschiedene Projekte, welche zum Ziel haben, durch das Identifizieren von Fehlkonzepten unter den Studierenden die Lehre gezielt zu verbessern. So arbeiten einige Dozierende am D-PHYS in ihrer Lehre mit einer Datenbank von derzeit 306 Konzeptfragen (Multiple-Choice-Fragen mit erläuternden Antworten). Diese Fragen werden während des gesamten laufenden Semesters eingesetzt. Studierende erhalten so in kurzen zeitlichen Abständen eine direkte Rückmeldung zum eigenen Verständnis der zentralen Konzepte [8]. Dozierende können so bereits während des Semesters überprüfen, ob Ihre Lernziele auf der gewünschten Stufe erreicht wurden und allenfalls korrigierende Massnahmen einleiten.

Am D-BIOL wird durch die systematische Sammlung von Testergebnissen (Pre-Post-Setting zu Beginn und Ende des Basisjahrs) evaluiert, welche Themen wiederholt schlecht verstanden respektive welche Fehlkonzepte nicht überwunden wurden. Auf dieser Datengrundlage sollen dann Curriculumsanpassungen erfolgen [9].

Am D-USYS werden bei der Prüfungskorrektur von Freitextaufgaben die am häufigsten auftretenden Fehlkonzepte gesammelt und quantifiziert (Vorlesung 'Erd- und Produktionssysteme'). Diese Fehlkonzepte werden dann als plausible, weil real vorkommende Falschantworten (Distraktoren) für Multiple-Choice-Fragen genutzt. Solche Fragen bringen verschieden Vorteile mit sich: Kleinerer Korrekturaufwand, der Examinator wird nicht durch schlecht leserlichen Antworttext beeinflusst und schliesslich sind Antwortstatistiken einfacher und schneller greifbar.

 

Ausblick

In der Hochschullehre gilt es als 'Best Practice', mit einem systematischen Ansatz Fehlkonzepte zu überwinden, die bei Studierenden häufig vorkommen. Sonst wird das das Lernen und v.a. das Entwickeln von immer tiefergehendem Lernen und Verstehen stark behindert [4] .

Multiple-Choice-Fragen sind ein geeignetes Instrument, um die Häufigkeitsverteilung von Fehl-konzepten zu erfassen. Der Aufwand für das Entwickeln solcher Fragen ist erfahrungsgemäss aber nicht zu unterschätzen. Zusätzliche Ressourcen können durch Innovedum-Projektanträge ermöglicht werden.

Doch auch mit vergleichsweise kleinen Schritten kann einiges erreicht werden: So könnte man bei der Korrektur von Freitext-Prüfungen die beobachteten Fehlkonzepte in einer einfachen Form dokumentieren. Weitere Daten ergeben sich durch das Befragen von Assistierenden, welche Verständnisprobleme in den Übungen am häufigsten auftreten. Bei Multiple-Choice-Online-Prüfungen stehen sogar schon detaillierte Antwort-Statistiken zur Verfügung. Wichtig ist dann, dass alle diese Ergebnisse dann an die richtigen Dozierenden gelangen sodass diese in kommenden Semestern ihre Schwerpunkte und inhaltliche Planung auf diese Daten stützen können.

In jedem Fall wird empfohlen, Fehlkonzepte nicht nur bei Sessions und –Semesterendprüfungen zu untersuchen, sondern solche v.a. während des Semesters aufzudecken. Das Potential liegt darin, dass Studierende Verständnisprobleme frühzeitig und deutlich erkennen und dadurch zur Aufarbeitung angespornt werden. Während des laufenden Semesters können die Dozierenden aus Zeitgründen meist nicht alle festgestellten Fehlkonzepte umfassend klären. Studierende sollten deshalb Hinweise erhalten, wie sie eigene Fehlkonzepte selbstständig überwinden können (z.nB. Selbststudium, Office-Hours der Dozierenden, Assistierende oder Mit-Studenten ansprechen etc.).

 

Referenzen

[1] Oxford Dictionaries; http://www.oxforddictionaries.com
[2] Galley, W. C. (2004). Exothermic Bond Breaking: A Persistent Misconception. Journal of Chemical Education, 81(4), 523-525.
[3] Chinn, C. A., & Brewer, W. F. (1993). The role of anomalous data in knowledge acquisition: A theoretical framework and implications for science instruction. Review of Educational Research, 63(1), 1-49.
[4] Nakhleh, M. B. (1992). Why some students don't learn chemistry: Chemical misconceptions. Journal of Chemical Education, 69(3), 191-196.
[5] Gregg, V. R., Winer, G. A., Cottrell, J. E., Hedman, K. E., & Fournier, J. S. (2001). The persistence of a misconception about vision after educational interventions. Psychonomic Bulletin & Review, 8(3), 622-626.
[6] Chi, M. T. H. (2008). Three types of conceptual change: Belief revision, mental model transformation and categorical shift. In S. Vosniadou (Ed.), Handbook of research on conceptual change (pp. 61-82). Hillsdale, NJ: Erlbaum.
[7] Nussbaum, J., & Novick, N. (1982). Alternative frameworks, conceptual conflict, and accommodation: Toward a principled teaching strategy. Instructional Science, 11, 183-200.
[8] ETH D-PHYS: Innovedum-Project: Konzeptfragen-DB: Collection of concept questions for introductory physics lectures ((http://www.eduphys.ethz.ch/documents/innovedum_konzeptfragen_word))
[9] ETH D-BIOL: Innovedum Project: Investigating misconceptions in biology held by Swiss students at the threshold between Gymnasium and University

§166 · March 23, 2015 · Innovationsobjekte · · [Print]